Wie funktioniert Psychotherapie? Eine mittellange Erklärung.

Die absolut kürzeste Erklärung der Welt, wie Psychotherapie funktioniert, scheint Ihren Wissensdurst nicht gestillt zu haben. Es freut mich, dass Sie sich für die etwas längere Erklärung interessieren, wie Psychotherapie eigentlich funktioniert. Ich teile mein Wissen sehr gerne mit Ihnen, da ich finde, dass es nichts Faszinierenderes auf der Welt gibt heutzutage als die menschliche Psyche. Aber keine Sorge, ich versuche, mich trotzdem so kurz wie möglich zu halten.

 

So einfach wie in der Kurzvariante ist es nämlich ja doch nicht. Oder doch, eigentlich schon, zumindest in der Theorie. In der Praxis sieht es etwas anders aus. Dieses Phänomen kennen Sie vielleicht: Im Kopf ist Ihnen etwas völlig klar, zb, dass Sie aufhören sollten, zu rauchen, Zucker zu essen, sich mehr bewegen sollten, weniger Geld ausgeben für Schuhe, Handys etc. Aber bei der Umsetzung hapert es.

 

Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt¹ fand dafür die Analogie des Elefanten und des Elefantenreiters, dem Mahut: Der Mahut steht für den Kopf, den Verstand, die Theorie; der Elefant für die Umsetzung, das Handeln, die Macht der Gewohnheit. Ein schönes Bild finde ich. Der Elefant ist durchaus lernfähig. Aber er braucht viel Zeit, Geduld, Training, um etwas Neues zu lernen. Das passt doch zu uns Menschen, finden Sie nicht auch?

 

Aber ich schweife ab. Beziehungsweise hat die Analogie ja doch auch viel damit zu tun, wie Psychotherapie funktioniert. Wir alle wissen, dass ein Grossteil dessen, was bei uns Stress auslöst, selbstgemacht ist, sozusagen in unserem Kopf entsteht. Mit unserem Denken, unseren Interpretationen zusammenhängt. Und wir unser Denken, unsere Interpretationen verändern können. Aber ja, die Umsetzung… Hier kommt der Psychotherapeut ins Spiel. Er ist nämlich dafür ausgebildet, sie als Elefantenreiter*in zu trainieren, damit Sie Ihren Elefanten besser in den Griff kriegen. Er motiviert sie, ermutigt sie, zeigt ihnen neue Wege auf und interessiert sich dafür, was sie beim Elefantentraining erleben. Und: Er hat sich selber schon intensiv mit seiner Elefantin auseinandergesetzt und ist sich bewusst, wie mühselig, frustrierend und zur Verzweiflung treibend es sein kann, ihr Neues beizubringen. Übrigens: Hüten Sie sich vor Therapeut*innen, die Ihnen etwas anderes glauben machen wollen!

 

Reicht Ihnen das schon? Oder darf es noch etwas mehr sein?

 

A propos Stress (eines meiner Lieblingsthemen): Unsere körperliche Stressreaktion ist ein hochkomplexer biologischer Ablauf, der sich vor ca. 180'000 Jahren entwickelt hat. Da waren Sie und ich noch nicht auf der Welt. Ich zumindest. Und wenn es diese Reaktion nicht gegeben hätte bei unseren Ururur….urahnen, wären wir allerdings auch heute nicht auf der Welt. Sie verhalf nämlich unseren Ururur….urahnen, gegebenenfalls vor Höhlenbären zu flüchten, sich gegen feindlich gesinnte Stämme zu verteidigen und neue Territorien zu erobern. Alles Dinge, die wir heute auch noch unbedingt brauchen. Oder denken Sie etwa nicht? Zumindest die Höhlenbären sind ausgestorben, hauptsächlich dank der biologischen Stressreaktion und der damit verbundenen Aggressivität unserer Vorfahren. Aber das ist ein anderes Thema. Auch die Neandertaler und andere Menschenarten gibt es heute nicht mehr, ebenfalls dank der biologischen Stressreaktion und der damit verbundenen Aggressivität unserer Vorfahren. Ebenfalls ein anderes Thema². Neue Territorien gibt es noch, allerdings im quantenphysikalischen Bereich oder auf fremden Planeten, da hilft uns unsere Stressreaktion allerdings auch nicht weiter, da ist eher Kopfarbeit gefragt. Vielleicht merken Sie, worauf ich hinauswill: so dankbar wir unseren Vorfahren sein können, dass sie diesen biologischen Prozess entwickelt haben, so lästig und hinderlich ist er heute. Wir benötigen ihn schlichtweg nicht mehr. Oder zumindest nicht mehr in dem Ausmass, wie er auftaucht, wenn uns unser Chef, der Ehemann oder die Kinder ärgern. Jede neue Patientin, jeder neue Patient von mir, und das ist nicht übertrieben, äussert als Therapieziel unter anderem den Wunsch nach mehr Gelassenheit. Weniger in Stress zu geraten.

 

Und darum geht es tatsächlich in der Psychotherapie: 1. Herauszufinden, was der Auslöser ist für die Stressreaktion (ein Gedanke, ein Gefühl, eine Körperempfindung - ja, Sie lesen richtig, Auslöser für unsere Schwierigkeiten sind nie äussere Dinge, Situationen, Menschen, sondern unsere Reaktionen darauf), 2. zu beurteilen, ob die Reaktion angemessen ist (in der Regel ziemlich eindeutig: NEIN) und 3., Wege zu finden, die Stressreaktion zu beruhigen. Mit der Absicht, dass, je öfter das geübt wird und gelingt, desto besser die Reiterin den Elefanten unter Kontrolle bringen kann. Oder wie John Kabat-Zinn, der Mindfulness-Guru es schön ausdrückt: Dass aus der automatisierten Stressreaktion eine kontrollierte Stressantwort werden kann³.

 

Julius Kuhl, der Osnabrücker Persönlichkeitspsychologe und Entwickler einer meiner Lieblingstheorien, der PSI-Theorie⁴ bringt wunderschön auf den Punkt, welche beiden Fähigkeiten dazu benötigt werden, aus der Stressreaktion eine Stressantwort werden zu lassen:

  • Frustrationstoleranz und
  • Selbstberuhigung

Und fügt noch an: Wenn jemand die Fähigkeit zur Selbstberuhigung beherrscht, erübrigt sich das mit der Frustrationstoleranz. Denn er kann sich ja in Frustsituationen selbst beruhigen. Also, take home: Alles, was es braucht, für ein glückliches Leben ist die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen. Simpel, oder? Erklären Sie das also jetzt bitte Ihrem Elefanten.

 

Julius Kuhl sagt übrigens auch, dass dies die elementarste Fähigkeit sein sollte, die in den Schulen den Kindern beigebracht wird. Aber das ist ein anderes Thema. Bis es dieses Schulfach gibt, stehen wir Psychotherapeuten Ihnen zur Verfügung, falls Sie in dem Fach Nachholbedarf haben sollten.

 

Soweit die mittellange Variante. Noch Fragen? Möchten Sie noch mehr wissen?

Dann schauen Sie doch in die ausführliche Variante hinein. Sobald ich den Artikel dazu fertiggestellt habe, werde ich ihn gerne hier für Sie verlinken.

 

Vielen Dank für Ihre Interesse und willkommen bei Ihnen!

Bleiben Sie bei sich und gehen Sie gut mit sich und Ihren Elefant*innen um. Das ist das Beste, was Sie für sich, Ihre Mitmenschen und andere Lebewesen tun können.

 

Herzlich,

Simon Gautschy

 

¹ Z.B. Haidt, Jonathan: Die Glückshypothese: Was uns wirklich glücklich macht. Die Quintessenz aus altem Wissen und moderner Glücksforschung. - Ich habe das Buch selber nicht gelesen, bin durch eine Podcastfolge von Buddha at the Gas Pump mit Swami Sarvapriyananda darauf gestossen, der das Beispiel vom Elefanten und dessen Mahut zitierte. Übrigens ein sehr hörenswerter Podcast zum Thema ethisches Handeln in der modernen Welt. Hier anzuhören und -sehen: https://www.youtube.com/watch?v=u_q8fVYsX6g

 

² Wenn Sie sich für die Greueltaten und Grausamkeiten unserer Ururur… urahnen interessieren, empfehle ich Ihnen die „kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari.

 

³ John Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation. Eine ausführliche Beschreibung der körperlichen Prozesse, die an der Stressreaktion beteiligt sind sowie welche Auswirkungen Entspannungstraining beispielsweise durch Meditation auf die Stressreaktion haben kann. Auf Englisch trägt sein Buch den viel schöneren Titel: „Full Catastrophe Living“ - die volle Katastrophe leben. Ein schönes Lebensziel, inmitten der vollen Dosis leben in seiner Mitte ruhen und immer wieder zur Gelassenheit zurückfinden, oder was denken Sie?

 

Hier die Webseite von ihm und der PSI-Theorie: https://www.psi-theorie.com/

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PSYTSG

Psychotherapie Simon Gautschy

M.Sc. Simon Gautschy

Eidg. anerkannter Psychotherapeut
Fachpsychologe für Psychotherapie FSP

Rathausgasse 17

5000 Aarau

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