Wie heilsame und wachstumsfördernde Gruppen entstehen
Du hast vielleicht schon an einem meiner Gruppenangebote teilgenommen oder interessierst Dich für meine Gruppen? Schön, das freut mich, da haben wir etwas gemeinsam - ich interessiere mich nämlich auch brennend für meine Gruppen, insbesondere dafür, was in den Gruppen passiert. Hier möchte ich Dir eine wichtige Erkenntnis vorstellen, nämlich, was es braucht, dass herzöffnende Gruppen entstehen und wieso es im Normalfall in unserer Gesellschaft nicht so weit kommt, dass solche Gruppen entstehen.
In meiner Gruppenarbeit habe ich festgestellt, dass es verschiedene Phasen gibt, welche Gruppen durchlaufen müssen, damit ein Klima von Sicherheit, Geborgenheit, Vertrauen, Mitgefühl und Herzlichkeit entstehen kann.
Phase 1: Die Phase der bunt zusammengewürfelten Individuen.
Mehrere Individuen finden sich an einem vorgegebenen Ort zusammen, mit einem gemeinsamen Ziel oder Interesse oder mit der Absicht, ein gemeinsames Ziel zu entwickeln. Obwohl der konkrete Raum des Gruppentreffens geschlossen sein kann, ist er auf psychologischer Ebene doch offen für die Werthaltungen der Umgebung, d.h. der Kultur und Gesellschaft in welcher sich die Teilnehmenden befinden.
Phase 2: Die Phase der Verhandlung
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Werthaltungen und –vorstellungen sowie in Hinblick auf das Gruppenziel werden Gruppenrollen und Gruppenhierarchie verhandelt und etabliert. Normen und Konventionen hinsichtlich des Umgangs mit Nähe und Distanz, Schwäche und Verletzlichkeit werden geschaffen oder bestätigt. Diese Phase wird von den Gruppenmitgliedern in der Regel als mit starker Anspannung (Stress) verbunden erlebt.
Phase 3: Die Phase der oberflächlichen Anpassung
Ein Mikrokosmos als Spiegel der gesellschaftlich-kulturellen Umgebung wird geschaffen. Gesellschaftliche Normen und Werte werden reproduziert und auf das Gruppengefüge übertragen. Sanktionen für Normverstösse werden etabliert und durchgeführt. Relative Sicherheit entsteht. Gleichzeitig dominiert das Gefühl von Getrenntsein sowie ein Erleben von starker Sehnsucht nach einer authentischeren und ursprünglicheren Form von Gemeinschaft, welches sich oftmals in Form von Süchten äussert (Arbeitssucht, Beziehungssucht, Abhängigkeit von Substanzen, Erfahrungen, Therapien etc.)
Einschub:
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich an kapitalistisch-patriarchalen Grundwerten orientiert und sich nach dem kompetitiv-hierarchischen Prinzip organisiert. Ressourcen werden nicht nach Bedarf, sondern grundsätzlich nach Status verteilt (wer mehr gilt oder leistet, erhält mehr). Wenn dies nicht explizit berücksichtigt wird, übernimmt eine Gruppe reflexartig diese Grundhaltungen und organisiert sich dementsprechend. Was auf psychologischer Ebene dazu führt, dass die Gruppenmitglieder ihre Ich-Grenzen und Abwehrstrategien verstärken und eine Fassade entwickeln und aufrechterhalten, um das Zeigen von Verletzlichkeit und Schwäche zu verhindern. Konflikte werden im Fight/Flight/Freeze-Modus ausgetragen, der Verlierer trägt die Schuld und erhält die Pflicht zur Wiedergutmachung auferlegt. Komplexe und fehleranfällige Strukturen werden geschaffen, um eine (Schein-)Integration zu schaffen (Bsp. Krankenversicherungssystem, IV). Oftmals endet leider die Gruppenbildung in dieser Phase.
Phase 4: Die Phase der Abgrenzung und Suche nach Alternativen.
Mit den Grundwerten der Mehrheitsgesellschaft unzufriedene Individuen versuchen, einen für die Normen und Werte der Umgebung undurchlässigen alternativen Schutzraum zu finden oder zu schaffen, welcher es ermöglicht, neue Normen und Werte zu erproben und zu entwickeln. Häufig geschieht dies entweder in weltfremden virtuellen Räumen oder in Form einer Protest- und Gegenbewegung (Links-/Rechtsextremismus), welche primär aggressive Energie gegen die Mehrheitsgesellschaft richtet und diese dadurch noch bestätigt und aufrechterhält. Ein wichtiger Schritt zu einer wahren Alternative und zu echter Weiterentwicklung besteht in dieser Phase darin, die Aufmerksamkeit nicht nach aussen, auf den „Feind“ zu richten, sondern nach innen, auf die eigenen Verletzungen und die notwendigen individuellen und gruppenbezogenen Heilungs- und Wachstumsprozesse. Erst dadurch wird der Übergang in die nächste Phase möglich.
Phase 5: Phase der Neuorientierung und des „Trauma Release“
In dieser Phase begeben sich die Gruppenmitglieder auf Neuland ausserhalb ihrer Komfortzone. Sie versuchen, trotz hohem Stresserleben offen zu bleiben, d.h. in Resonanz zu sein für ihr eigenes Erleben und das Erleben der anderen. Ein Gruppenresonanzfeld kann so entstehen, welches ein zunehmendes Klima von Sicherheit und Vertrauen schafft, nährt und fördert. Was dazu führt, dass Verletzungen zum Vorschein kommen dürfen, vom Resonanzfeld aufgefangen und absorbiert werden, was das Klima von Vertrauen und Geborgenheit noch stärkt und tiefergehende Heilungs- und Wachstumsprozesse ermöglicht. Diese Phase kann sehr anspruchsvoll sein, da hier Verletzungen getriggert werden und Projektionsphänomene entstehen. Ein haltgebender Rahmen und Raum und klare Gruppenregeln sind in dieser Phase besonders wichtig. Wenn eine Gruppe diese Phase aushält, kann sie in die Abschlussphase übergehen.
Phase 6: Primal Tribe – die paradiesische oder Liebesphase
Die Gruppe erlebt sich als authentische heilungs-, entwicklungs- und wachstumsfördernde Gemeinschaft, als Stamm oder Tribe. Die Organisation ist kooperativ-territorial, d.h. Verbindung und Zusammenarbeit gelten als zentrale Werte und es hat Raum für alle Individuen mit ihren Bedürfnissen. Ressourcen werden nach Bedarf verteilt, wobei besonders auf die verletzlichsten Gruppenmitglieder geachtet wird. Das oberste Ziel der Gruppe ist der Gruppenerhalt und das seelische Wachstum der Gruppenmitglieder. Dadurch erhöht sich das Wohlbefinden und Glückserleben aller Gruppenmitglieder kontinuierlich.
Was sind Deine Erfahrungen mit Gruppen? Findest Du die Vorstellung des Gruppengefüges von Phase 6 utopisch? Das ist es keinesfalls. Ich erlebe immer wieder Wunder in meinen eigenen Gruppen, bin fasziniert davon, wie bereitwillig sich die Teilnehmenden auf diese Entwicklung einlassen und wie befreiend es sich für alle Beteiligten anfühlt, wenn Phase-6-Momente entstehen.
Aus meiner Sicht und Erfahrung eignet sich insbesondere die Kreisarbeit hervorragend für die zweite Hälfte der Gruppenentwicklung, da der Kreis bereits durch seine Form die kooperativ-territoriale Struktur und Kommunikation nahelegt und fördert.
Möchtest Du ebenfalls die Erfahrung von heilsamer und wachstumsfördernder Gemeinschaft machen? Dann würde ich Dich freuen, Dich in einer meiner Gruppen begrüssen zu dürfen. Falls Du Fragen zu dem Thema hast, melde Dich einfach bei mir.
Willkommen bei Dir!
Herzlich,
Simon
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